New Work in der Architekturbranche - Herausforderungen und Chancen
“New Work” ist ein ziemliches Buzzword und geht oft einher mit Begriffen wie Work-Life-Balance und flexibler Arbeitszeit. “New Work" ist mittlerweile auch in der Architekturbranche angekommen. Warum das eine Herausforderung sein kann, welche Vorteile aber auch damit verbunden sind, beleuchten wir für euch in diesem Artikel.
New Work - Was genau bedeutet das?
Flint, Michigan in den 80er Jahren. Die Stadt ist geprägt und wird am Laufen gehalten durch den Automobilhersteller General Motors. Der entscheidet in dieser Zeit, einen sehr großen Teil seiner Fließbandmitarbeiter zu entlassen und ihre Arbeit durch Maschinen und Automationen zu ersetzen.
Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann schlägt dem Unternehmen einen Deal vor: Alle dürfen bleiben, aber sie halbieren ihre Arbeitszeit. Die andere Hälfte der Zeit verbringen sie in seinem neu gegründeten “Center of New Work”. Dort sollen sie herausfinden, “was sie wirklich, wirklich wollen.”
Arbeiten, wie wir wirklich, wirklich wollen
“New Work” ist also kein neues Konzept. Es umschreibt grundsätzlich alle neuen Formen der Arbeit und Arbeitsorganisation: Wie wollen wir leben und arbeiten?
Obwohl diese Fragen und das Konzept dahinter nicht neu sind, haben die Corona-Krise, aber auch die Digitalisierung und Globalisierung ihm nochmal ziemlichen Aufwind gegeben.
Bessere Vereinbarkeit und flexiblere Arbeitszeit
Vor allem in der jungen Generation wünschen sich immer mehr Arbeitnehmer:innen eine stärkere Vereinbarkeit von Job und Familie, weniger starre und lange Arbeitszeiten und legen ihren Fokus mehr auf persönliche Zufriedenheit als auf Erfolg im Job und ein stetig wachsendes Einkommen.
New Work in der Architekturbranche - Status Quo
“Architekten können nicht von zuhause aus arbeiten.” Das zumindest hat Ende 2020 ein Artikel im UK Architect’s Journal behauptet.
Und wenn man sich in deutschen Architekturbüros so umschaut und umhört, bekommt man den Anschein, als wäre da etwas dran: In den allermeisten Büros wird oft noch sehr klassisch gearbeitet.
Klassische Arbeitsmodelle überwiegen
Das heißt, dass alle fast immer ins Büro kommen, Home-Office kaum stattfindet und auch flexible Arbeitszeitmodelle eher die Ausnahme sind. Das bestätigen auch die Teilnehmer:innen unseres YouTube-Talks zum Thema “New Work".
Ob das tatsächlich so ist, lässt sich nicht klar beantworten. Die letzte Studie zu diesem Thema hat die Bundesarchitektenkammer 2021 durchgeführt. Damals gab es einen signifikanten Anstieg der Architekt:innen im Homeoffice von 27% im Jahr 2015 auf 77%. Allerdings war das auch mitten in der Corona-Pandemie und es ist gut möglich, dass sich daran wieder etwas verändert hat.
Work-Life-Balance als Job-Kriterium
Was sich aus einer anderen Studie der Architektenplattform competitionline jedoch gut herauslesen lässt ist, dass junge Architekt:innen viel Wert auf eine gute Work-Life-Balance legen. Fast 75% der Befragten sagen, dass ihnen dieser Aspekt wichtig oder sogar sehr wichtig ist. Architekturbüros, die mit Nachwuchsmangel kämpfen, tun also gut daran, auf solche Bedürfnisse ihrer Bewerber:innen einzugehen.
Realität: Deadlines und Überstunden
Doch wie lässt sich das in einer Arbeitskultur umsetzen, die oft geprägt ist von Deadlines und der Notwendigkeit, dass alle, die am Projekt beteiligt sind, immer auf demselben Stand sind?
Und in der auch Überstunden zur Tagesordnung gehören: In der BAK-Befragung von 2021 gaben 65% der Befragten an, dass sie wöchentlich mehr arbeiten als vertraglich geregelt.
New Work in der Architekturbranche - Herausforderungen
Tatsächlich ist es so, dass es auf den ersten Blick ein paar Hürden gibt, remote work und flexible Arbeitszeiten in der Architekturbranche umzusetzen.
Mögliche Herausforderungen könnten sein:
Kreativität lässt sich zeitlich nicht einschränken
Die besten Ideen kommen meistens nicht dann, wenn wir auf sie warten, sondern unverhofft und zwischendurch. Teilzeit kann deswegen auf den ersten Blick ein Hindernis für Kreativität sein.
Oft ist es jedoch so, dass uns die besten Ideen gar nicht während der regulären Arbeitszeit kommen, sondern davor oder danach.
Auf diesen Umstand können flexible Arbeitszeitmodelle eingehen, wodurch die Mitarbeiter:innen ihre Arbeitszeit individuell gestalten und an den kreativen Prozess anpassen können.
Der kreative Prozess lebt vom Austausch
Wenn alle am Projekt beteiligten an einem Ort zusammenarbeiten, entsteht zwangsläufig Austausch - auch zwischendurch. Diese zufällige Kommunikation entfällt bei fest terminierten Zoom-Meetings.
Es gibt jedoch Wege, auch digital kollaborativ zusammenzuarbeiten. Darüber sprechen wir im nächsten Punkt.
Es hapert an der Technik
Gibt es genug Laptops für alle, die remote arbeiten möchten? Und wie sind die Mitarbeiter:innen zuhause ausgestattet? Können sie drucken? Sind sie in der Lage, CAD-Zeichnungen im Home-Office zu machen oder haben sie keinen Zugang zur Software vom Küchentisch aus?
All diese Fragen stellen sich bei hybriden Arbeitsmodellen und können eine Hürde darstellen.
Vorteile von “New Work” in der Architekturbranche
Die beschriebenen Herausforderungen können abschrecken und dazu führen, dass klassische Arbeitsmodelle präferiert werden.
Dabei hat es durchaus Vorteile, wenn Architekturbüros “New Work” in die Organisation ihrer Arbeit einfließen lassen.
Flexible Arbeitsmodelle sind attraktiv für Bewerber:innen
Es kann schwierig sein, die besten Leute für sich zu gewinnen. Denn obwohl der Fachkräftemangel in der Architektur zwar leicht zurückgegangen ist, kommen laut dem aktuellen Fachkräftereport nach wie vor auf 100 offene Stellen nur 60 Bewerber:innen.
New Work als Wettbewerbsvorteil
Das bedeutet im Klartext: Architekt:innen auf Jobsuche können sich aussuchen, wo sie hingehen und die Arbeitgeber:innen müssen sich etwas einfallen lassen, um das eigene Unternehmen besonders attraktiv zu machen.
Die Möglichkeit, remote zu arbeiten oder in Teilzeit kann also ein Wettbewerbsvorteil sein, der bei der Suche nach neuen Mitarbeiter:innen einen Unterschied macht.
Zufriedene Mitarbeiter:innen sind die besten Mitarbeiter:innen
Ausschließlich gemeinsam im Büro zu arbeiten kann super sein und ist für viele genau das Richtige. Für manche aber eben auch nicht und schmälert die Work-Life-Balance der betroffenen Person.
Bedürfnisse wahrnehmen als Zeichen der Wertschätzung
Daraus kann Unzufriedenheit entstehen, die sich auf die Arbeit auswirken kann, weil sich der oder die Mitarbeiter:in sich weniger wertgeschätzt und zugehörig fühlt.
Auf diese individuellen Vorlieben kann durch das Einführen flexibler Strukturen eingegangen werden. Immer so, dass alle im Team sich wohlfühlen.
New Work kann Kosten senken
Wenn ein Teil des Teams generell an einem anderen Standort arbeitet, kann es für das Büro sinnvoll sein, sich räumlich zu verkleinern. Das wiederum spart Fixkosten ein.
Damit der Live-Kontakt dennoch nicht verloren geht, können mit dem frei gewordenen Geld zum Beispiel regelmäßige Team-Events in Präsenz eingeplant werden.
Ausblick: So könnte sich New Work in der Architekturbranche entwickeln
Auf viele der genannten Herausforderungen gibt es mittlerweile bereits gute Antworten.
Auf die Sorge vor eingeschränkter Kreativität durch Teilzeit und flexibleres Arbeiten könnte zum Beispiel so reagiert werden: Auf stressige Phasen, die viel Anwesenheit und Input fordern, folgen grundsätzlich Entlastungsphasen, die von der Büroleitung auch gewünscht sind.
Selbstorganisation und Empowerment
Hier ist es wichtig, dass die Mitarbeiter:innen sich diese auch erlauben und tatsächlich umsetzen. Dafür braucht es zum einen ein gewisses Maß an Selbstorganisation, zum anderen sollten die Arbeitgeber hier aber auch empowernd sein und die Mitarbeiter:innen darin bestärken, sich diese Auszeiten zu nehmen.
Gemeinsam an verschiedenen Orten
Auch die kollaborative Zusammenarbeit unabhängig von einem gemeinsamen Arbeitsplatz kann umgesetzt werden. Es gibt mittlerweile Tools, die genau das ermöglichen.
Tools können Kommunikation fördern
Das Büro könnte zum Beispiel einen Messengerdienst wie Slack benutzen für den kurzen Dienstweg. Oder auch das Chatprogramm von Teams oder einer anderen Software. Das erspart E-Mails und die Gedanken können in Echtzeit geteilt werden.
Damit alle einen Überblick über das laufende Projekt haben, eignen sich Projektmanagement-Tools, die alle ständig auf dem Laufenden halten.
Auch Cloud-basiertes Arbeiten erleichtert die Zusammenarbeit über die Entfernung, weil dadurch alle jederzeit auf wichtige gemeinsame Dokumente zugreifen können.
Technische Lösungen sind möglich
Bezüglich der generellen Frage nach Technik lassen sich ebenfalls Lösungen finden: So könnte es eine Möglichkeit sein, dass das Büro in eine Remote-Workstation investiert.
Damit können die Mitarbeiter:innen von jedem Standort aus auf die notwendigen leistungsstarken Rechner inklusive Software zugreifen.
Fazit
Das Konzept von New Work stellt die Architekturbranche vor Herausforderungen, bietet aber auch viele Vorteile und Chancen.
Generell gilt: Arbeitsprozesse lassen sich nicht von heute auf morgen ändern und am Ende müssen sich alle Beteiligten mit den gewählten Strukturen wohlfühlen.
Grundlage: Viel und offene Kommunikation
Um das zu erreichen, braucht es vor allem eins: Viel und offene Kommunikation und auch Chefs und Chefinnen, die den Weg vorgeben und vorleben.
Wenn Du mehr dazu hören möchtest und dich die ganz persönliche Einschätzung von Praktikern aus der Branche interessiert, schau Dir unser coffee & chair (digitaler Live Talk mit Expert:innen) dazu an.
Darin teilen die Architektin und New Work Beraterin Martina Rahmfeld, der CEO von de Winder Architekten, Klaus de Winder und die Geschäftsführerin von Hoskins Architects, Gabriele Bernatzky, ihre individuellen Erfahrungen, Sorgen und Lösungen zu dem Thema.